Von Telephonoskopen und Gegenseh-Anlagen: Reale und fiktive Vorläufer von Skype, Zoom und Konsorten

Von Telephonoskopen und Gegenseh-Anlagen: Reale und fiktive Vorläufer von Skype, Zoom und Konsorten
Sammelbildchen aus dem „Echte Wagner Album Nr. 3“, 1930

„In wenigen Jahren wird man bestimmt mithilfe eines Apparates, der drahtlos funktioniert und vielleicht Telephotophon heißen wird, seinen Partner zur gleichen Zeit sehen und sprechen hören. Und ‚Taschenmodelle‘ werden die Fortsetzung einer angefangenen Unterhaltung mit einem Freund auch auf einer Reise oder einem Spaziergang ermöglichen“, wagt ein Bericht der Berliner Illustrierten Zeitung mit dem Titel «Wunder, die unsere Kinder vielleicht noch erleben werden» aus dem Jahr 1928 einen Blick in die nahe Zukunft. Ein Jahr zuvor, am 7. April 1927, war es zur ersten Übertragung von Bildsignalen gekommen: Ein Telefonat mit einem riesengroßen Apparat namens „Ikonophone“ zwischen dem damaligen Handelsminister der USA, Herbert C. Hoover, in Washington D.C. und dem Präsidenten des Telekommunikationsunternehmens AT&T, Walter S. Gifford, in New York wurde begleitet von 18 in eine Richtung versendeten Bildern pro Sekunde – ein historischer Moment und die Geburtsstunde der Videotelefonie.

Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts wird die Bildtelefonie in Büchern und Zeitschriften als Zukunftstechnologie gemalt und in Geschichten beschrieben – mal satirisch, mal als realistisch anmutendes, nicht weit entfernt liegendes Szenario oder als angeblich neueste Erfindung. Mit der Übertragung von Sprache – 1876 erhält Alexander Graham Bell das Patent für sein Telefon – florieren Ideen, wie in der Zukunft miteinander gleichzeitig per Ton und Bild kommuniziert werden kann.

Die Geschichte der Videotelefonie ist die Geschichte einer nur zögerlich angenommenen Medieninnovation: Obwohl technisch längst möglich, setzt sie sich nur langsam durch. Erst mit dem Aufkommen des Internets verbessert sich die Bildqualität und sinken die Kosten für das Telefonieren per Video. Alltagsrealität wird die Bildtelefonie für viele aber erst mit der Corona-Pandemie – knapp 100 Jahre nach dem allerersten Bildtelefonat.

1879: Die erste Visualisierung eines Bildtelefonats

„Jeden Abend bevor Vater und Mutter ins Bett gehen, bauen sie eine elektronische Camera obscura über ihrem Kamin im Schlafzimmer auf und erfreuen sich darüber, ihre Kinder auf den Antipodeninseln zu sehen und unbekümmert über eine Leitung mit ihnen zu kommunizieren.” So lautet die Bildunterschrift der am 9. Dezember 1879 in der Satirezeitschrift „Punch“ veröffentlichten Zeichnung des Karikaturisten George du Maurier. Die Übertragung von Ton und Bild, so seine Fiktion, erfolgt über ein Gerät namens „Telephonoscope“. Dessen Entwicklung schreibt du Maurier imaginierend dem damals berühmtesten Erfinder Thomas Alva Edison zu. Die Karikatur trägt daher den Titel „Edison’s telephonoscope (transmits light as well as sound)“ und kann als nicht ganz ernst gemeinte satirische Spitze gegen Edisons kurz zuvor präsentiertes, aus zwei großen Trichtern bestehendes Megaphon verstanden werden, das Ziel von Spott und Häme wurde. Du Mauriers Idee ist nicht ganz neu, es handelt sich aber wohl um die erste veröffentlichte Zeichnung, die das Skype- und Zoom-Zeitalter vorwegnimmt.

George du Maurier, Public domain, via Wikimedia Commons

In den 1880er Jahren wird das Bildtelefon sowohl als Zwei-Wege-Kommunikation gedacht, als auch als nur in eine Richtung gehendes Empfangsgerät diskutiert. 1881 kommt in Paris das „Théâtrophone“ auf, mit dem die telefonische Teilnahme an Konzerten, Theater- und Opernveranstaltungen möglich wird und auch Nachrichtensendungen empfangen werden können. Diese Innovation beflügelt die Phantasie einer Bildübertragung zusätzlich.

In seinem 1883 erscheinenden Zukunftsroman „Le Vingtième Siècle“ über das Leben einer modernen, im Berufsleben stehenden Pariserin antizipiert der Satiriker Albert Robida ein Multimediasystem – wie bei du Maurier „Téléphonoscope“ genannt –, das im Jahr 1952 entweder als öffentliche Bildtelefonzelle oder im eigenen Privathaushalt genutzt werden kann, um per Bild und Ton über räumliche Distanzen hinweg mit anderen in Kontakt zu treten oder auch Sendungen wie Unterhaltungsshows, tägliche Nachrichtensendungen und Werbung zu übertragen. Robida thematisiert schon damals sowohl positive Aspekte moderner Medientechnologien, wie etwa die Möglichkeit von Fernunterricht, als auch negative wie z. B. einen Rückgang persönlicher Begegnungen.

Albert Robida, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Idee der Übertragung von Bild und Ton fasziniert natürlich auch den „Vater der Science-Fiction", Jules Vernes. 1891 beschreibt er zusammen mit seinem Sohn Michel das Bildtelefon in einer Kurzgeschichte über das Leben eines Journalisten im Jahr 2889, der die alleinige Macht über die Verbreitung elektronischer Nachrichten innehat. Im vier Jahre später erscheinenden Roman „Propellerinsel“ kommt ein Gerät namens „Phonotelephote“ vor, das in der Lage ist, Bild und Ton zu übertragen. Auch Mark Twain greift die Bildtelefonie auf: In seiner 1898 veröffentlichten Kurzgeschichte „From The Times of 1904“ können Menschen auf der ganzen Welt mittels eines sogenannten „Telectrophonoscope“ Bild- und Toninformationen miteinander austauschen.

Villemard 1910, Illustration zur Serie "Die Welt im Jahr 2000", Public domain, via Wikimedia Commons

Ihren ersten Filmauftritt hat die Videotelefonie im Jahr 1927 in Fritz Langs dystopischem Stummfilm „Metropolis“. Die Uraufführung des Films erfolgte wenige Monate bevor das erste Bildtelefonat auch wirklich gelang. Seitdem ist die Bildtelefonie Bestandteil einer Vielzahl von Science-Fiction-Filmen.

Aus Phantasie wird Realität

Einen großen Meilenstein in der Geschichte der Videotelefonie stellt die 1929 vom Reichspostzentralamt auf der 6. Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin präsentierte „Fernseh-Sprechanlage“ bzw. „Gegenseh-Anlage“ des Entwicklers Gustav Krawinkel dar: Erstmals ist es möglich, sich bei einem Telefongespräch gegenseitig zu sehen. Eine Sensation, auch wenn die Übertragung nur wenige Meter weit reicht. Das Zeitalter der Videotelefonie scheint kurz bevorzustehen. Allerdings kann die Technik noch nicht vollends überzeugen: Bei den Geräten der 1920er Jahre ist die Geräuschbelastung erheblich und die Auflösung der Bilder sehr gering. In den folgenden Jahren wird die Technik jedoch mit hohem Tempo weiterentwickelt.

Ein Jahr nach der Sensation in Berlin druckt der Margarine-Hersteller Wagner Sammelbildchen zum Thema „Zukunftsfantasien“. Die Darstellung zweier Frauen, die nicht miteinander, sondern lässig rauchend und ein Getränk zu sich nehmend mittels eines handlichen Bildtelefongeräts mit Mann und Kind plaudern, ist verblüffend nah an der heutigen Realität.

In den USA und in Deutschland nimmt die Videotechnologie in den 30er Jahren an Fahrt auf: 1930 gelingt in der Forschungsabteilung Bell Laboratories der Telefongesellschaft AT&T der Einsatz eines „Two-way Television Telephones“. 1936 richtet die Deutsche Reichspost den ersten „Fernseh-Sprechdienst“ der Welt zwischen Berlin und Leipzig ein. Trotz hohen Interesses an der Innovation fällt die Nachfrage gering aus: Im Vorfeld muss ein Termin bei den Postämtern beider Städte gebucht werden, die Bildqualität ist gering und die Gebühren sind hoch. 1940 wird der Dienst wieder eingestellt.

In den 1960er Jahren ist es vor allem die amerikanische Firma AT&T, die sich die kommerzielle Nutzung der Bildtelefonie zum Ziel gesetzt hat. 1964 präsentiert das Unternehmen auf der Weltausstellung in New York das „Picturephone“ und startet kurz danach einen kommerziellen Videotelefoniedienst. In den Städten Chicago, New York und Washington können öffentliche, mit Audio- und Videotechnik ausgestattete Kabinen reserviert werden. Doch der Erfolg bleibt aus: Zu teuer, zu unpraktisch. In Deutschland präsentiert die Firma Siemens 1971 auf der Hannover-Messe das für den Arbeitsplatz vorgesehene Bildtelefon „videoset 101“, bei dem Glasfasern zum Einsatz kommen. Von 1981 bis 1988 führt die Deutsche Bundespost in sieben Städten „BIGFON“ ein: Breitbandig integriertes Glasfaser-Fernmelde-Ortsnetz. Im Rahmen des Pilotprojekts – von dem man sich die Initialzündung für die Verbreitung der Bildkommunikation erhofft – werden zwölf öffentliche Videokonferenzräume eingerichtet. Doch auch diese studiobasierte Fernsehtechnik wird nicht nachgefragt.

Hohe Erwartungen in den Durchbruch der Videotelefonie werden in den 90er Jahren mit der Verbreitung des digitalen Telekommunikationsstandards ISDN gesetzt: Die Datenübertragung wird schneller, die Bildqualität besser. Ab 1993 bringt die Telekom ISDN-basierte Bildtelefonie-Geräte auf den Markt. Jedoch: Die Displays sind klein, die Bildqualität schlecht. Der erhoffte Siegeszug der Videotelefonie bleibt auch weiterhin aus. Die Geräte werden wieder vom Markt genommen.

Nach dem 11. September 2001 erwacht das Interesse an der Videotelefonie erneut, da viele Geschäftsleute auf Flugreisen verzichten. Doch auch hier verpufft die Nachfrage bald wieder. Erst als das Internet beginnt, den beruflichen und privaten Alltag der Menschen zu durchdringen, kommt der Durchbruch: 2005 wird mit Skype erstmalig ein internetbasierter kostenloser Videodienst angeboten und ab 2010 setzen sich Smartphones im Alltag durch – der lang gehegte Traum vom Taschenmodell erfüllt sich.

Gelebter Alltag wird die Vision von der Überbrückung räumlicher Distanz jedoch erst, als genau diese auf der ganzen Welt durch die Corona-Pandemie erforderlich wird. Virtuelle Treffen werden zur neuen Realität sowohl im Berufs- als auch im Privatleben. Allerdings: Nach zwei Jahren digitaler Verabredungen sehnen sich die meisten Menschen vor allem nach einem: persönliche Treffen in der analogen Welt.

Für eine weitere Vertiefung in das Thema empfehle ich:

Tobias Held, Face-to-Interface. Eine Kultur- und Technikgeschichte der Videotelefonie, Marburg 2020.

Back to Future. Technikvisionen zwischen Fiktion und Realität, Ausstellung im Museum für Kommunikation in Berlin (3. Dezember 2021 bis 28. August 2022)