„Ich wollte nie ein Elfenbeintürmer sein.“

„Ich wollte nie ein Elfenbeintürmer sein.“
Prof. (em.) Dr. Günter Bentele

Anlässlich der Veröffentlichung des Bandes „Geschichte (in) der Unternehmenskommunikation. Zur Entstehung von Unternehmens- und Strategischer Geschichtskommunikation.“ (Springer Verlag 2025) sprachen wir mit dem Mitherausgeber und PR-Pionier Prof. (em.) Dr. Günter Bentele über die Anfänge der PR-Forschung und die Entwicklung des Faches in Deutschland.

 

Wie bist du dazugekommen, dich mit der Geschichte der PR zu beschäftigen?

 Günter Bentele (GB): Als ich 1994 deutschlandweit den ersten Lehrstuhl für PR/Öffentlichkeitsarbeit an der Universität Leipzig erhielt, begann ich mich intensiver mit PR-Geschichte zu beschäftigen. Denn wenn man ein Fach aus der Taufe heben will und neu konzipiert, dann sollte man das als Lehrstuhlinhaber umfassend umsetzen.  Ich habe mich deshalb nicht nur mit den Instrumenten und der Methodik von PR beschäftigt, sondern eben auch mit Theorien, mit der Geschichte des Berufsfelds und mit der Ethik. Natürlich waren mir die beiden wichtigen Vertreter des Berufsfelds nach 1945 Carl Hundhausen und Albert Oeckl ein Begriff, aber ich wusste noch nichts über das Berufsfeld im deutschen Kaiser- reich oder der Weimarer Republik. Das habe ich dann erst als forschender Hochschullehrer gelernt. Dabei habe ich Persönlichkeiten wie Walter Zechlin oder Friedrich Mörtzsch kennengelernt und bspw. erfahren, dass der Schriftsteller Theodor Fontane 20 Jahre lang als preußischer Presseagent, also als PR-Referent, würden wir heute sagen, gearbeitet hat, bevor er Theaterkritiker in der Zeitung wurde.

War PR ein klar abgestecktes Feld, als du auf den neuen Lehrstuhl berufen wurdest?

GB: Ich wusste damals noch nicht, wie und wo man Grenzen sinnvollerweise zieht. Was die historische Dimension anbelangt, so gab es z. B. die Auffassung, dass es PR gibt, seit es die Menschheit gibt. Aber einige Leute haben doch etwas differenzierter hingesehen, und ich bin durch die eigene Forschung zu dem Schluss gekommen, dass es PR in Deutschland in einer definierten und abgestimmten Bedeutung seit Anfang des 19. Jahrhunderts gibt.

 

Woran konntest du das festmachen?

GB: Im Rahmen des Wiener Kongress 1815, als es um die Neuordnung Europas ging, passierte es zum ersten Mal, dass ein Pressereferent, damals wurden solche Leute wie er „Literaten“ genannt, seine Tätigkeit aufnahm. Es handelte sich um Karl August Varnhagen von Ense, der im Auftrag Preußens politische PR im Sinne von Pressearbeit, gemacht hat. Und wenn man das dann weiterverfolgt, sieht man, dass sich PR im 19. Jahrhundert langsam als Berufsfeld entwickelt hat und um die Jahrhundertwende in das integriert wurde, was wir heute Unternehmenskommunikation nennen.

Welche Materiallage hast du vorgefunden zu dem Thema bzw. wieviel Forschung gab es dazu im deutschsprachigen Raum?

GB: Es gab damals nur ganz wenig Forschung in Deutschland. Ich habe aber auch die PR-Literatur aus den USA zur Kenntnis genommen und dort gab es deutlich mehr. Das war aber sehr USA-zentriert, von der Entwicklung der PR in anderen Teilen der Welt hatten meine amerikanischen Kollegen auch keine Ahnung.

 

Nach deiner Berufung 1994 warst du ja für einige Zeit der einzige mit einer vollen Professur für PR/Öffentlichkeitsarbeit. Was hat sich seitdem verändert?

GB: Es gab damals zwei Kolleginnen und Kollegen, Barbara Baerns und Werner Faulstich, die das Fach aber immer mit einem anderen Fach kombinieren mussten, Faulstich mit Film und Baerns mit Journalismus.
Heute haben wir ungefähr 40 Hochschullehrer an Universitäten und Hochschulen, die sich auf die Studiengänge wie Unternehmenskommunikation, Public Relations, Organisationskommunikation, strategische Kommunikation konzentrieren können. Es gibt mittlerweile in Deutschland mindestens 20-30 Studiengänge und Teilstudiengänge für diesen Bereich. Das Fach hat sich allgemein auch internat- ional breiter aufgestellt. Es hat sich sehr gut entwickelt in Lehre und Forschung. Die Forschungsqualität ist heutzutage gut, das war vor 20-30 Jahren noch ganz anders. Da bin ich teilweise noch als „Propagandaforscher“ belächelt worden.

 

Belächelt weswegen?

GB: Weil nur die praktische PR-Arbeit gesehen wurde und nicht die theoretische Arbeit und die Systematiken dahinter, die ja innerhalb der Sozialwissenschaften wichtig sind. Aus dem Grund meinte ein Universitätskollege damals, dass das Fach doch besser auf einer Fachhochschule aufgehoben wäre. Daraufhin fragte ich meinen Kollegen aus der Veterinärmedizin: „Wie hoch ist der Anteil der prakti- schen Ausbildung in der Ausbildung für Tiermediziner und Tiermedizinerinnen?“ Er überlegte kurz und antwortete: „Ja, das ist schon ein ordentlicher Anteil.“ In der universitären Ausbildung für die Tiermedizin wurden seinerzeit noch Melk-Kurse angeboten.

Wie hast du die Studierenden an das Thema Geschichte herangeführt?

 GB: Ich habe von Anfang an Seminare zum Thema Geschichte der Öffentlich- keitsarbeit angeboten. Daraus ist dann u. a. das PR Museum, also das Deutsche online-Museum für Public Relations, entstanden. Die Studenten und Studentinnen haben aber auch recherchieren müssen, wie sich die Unternehmenskommunika- tion in Industrieunternehmen entwickelt hat. Für den praktischen Teil zu Themen wie, „wie schreibe ich eine Pressemitteilung?“ oder „wie organisiere ich eine Pressekonferenz?“, hatte ich Lehrbeauftragte aus führenden Agenturen, aus Unternehmen oder der Politik.

 

Wie haben dich PR-Interessenverbände wahrgenommen wie die DPRG?

GB: Ich war schon vor meiner Zeit als Professor Mitglied in der DPRG. Ich habe immer den Anspruch an mich selber gehabt, nicht ein Elfenbeintürmer zu sein, der nur vom Turm aus agiert. Ich war dadurch immer mit Praktikern im Austausch und habe selber natürlich auch geschrieben und Beratung gemacht. Deshalb wurde ich von Anfang an auch von Praktikern ernst genommen. Als ich den Lehrstuhl in Leipzig bekommen habe, hat mir damals ein Verbandspräsident gesagt: „Jetzt habe ich endlich meinen eigenen Professor für Öffentlichkeitsarbeit. Bisher hat mein Marketingkollege seinen Professor gehabt, und jetzt ist unser Fach auch in der Wissenschaft installiert worden. Jetzt hab ich einen akademischen Ansprech- partner an der Universität.“

 

Die Buchpräsentation findet Anfang Juli statt.

Als Emeritus bist du in dem Feld nach wie vor sehr aktiv. Du hast vor vier Jahren zusammen mit Prof. Dr. Felix Krebber das Center for History and Corporate Communication der Günter-Thiele-Stiftung gegründet, in dem du dich engagierst.

 GB: Das Center besteht aus zwei Strängen, erstens aus dem der Geschichte der Unternehmenskommunikation, den ich vertrete und zweitens aus dem der Geschichtskommunikation oder History Communication, für den Felix zuständig ist. Die Stiftung bietet uns unsere gute Bedingungen, um Forschungsvorhaben umzusetzen, Veranstaltungen zu den Themen mitzuorganisieren und Fachliteratur zu publizieren.

 Woran arbeitest du gerade?

GB: Ich arbeite an einem Buch über die Geschichte der PR und der in Deutschland. Das ist schon lange auf meiner Agenda. Ich hoffe, dass das in ein, zwei Jahren fertig sein wird. In dem Buch möchte ich die großen Linien der Geschichte des Berufsfeldes Kommunikation nachzeichnen. Ich habe mich immer gefragt, was hat PR für die Gesellschaft Anfang des 19 Jahrhunderts gebracht? Warum ist das überhaupt entstanden? Das Buch soll Antworten darauf liefern. Eine Leitidee dabei ist, dass die Öffnung politischer und wirtschaftlicher Organisationen durch Kommunikation die Gesellschaft demokratisiert hat.


 Kurzbiographie

Bentele, Günter, Prof. (em.) Dr., geb. 1948, Lehrstuhl Öffentlichkeitsarbeit/PR an der Universität Leipzig 1994 - 2014, vorher Professur für Kommunikationswissenschaft/Schwerpunkt Journalistik an der Universität Bamberg. Autor und Herausgeber von über 50 Büchern und über 300 Auf-sätzen. Gastprofessuren in den USA und Europa. Seit 1994 Mitglied und 2012 bis 2017 Vorsitzender des Deutschen Rats für Public Relations (DRPR). Ein Forschungsschwerpunkt seit 1994: Geschichte der Public Relations und der Unternehmenskommunikation. Herausgeber von https://pr-museum.de.