„Und plötzlich hältst du dieses historische Dokument in Händen…“

„Und plötzlich hältst du dieses historische Dokument in Händen…“

„Und plötzlich hältst du dieses historische Dokument in Händen…“
Welthistorische Überraschungen in einem Unternehmensarchiv

Eigentlich ein ganz alltäglicher Vorgang bei H&C Stader: Ein Kunde übergibt uns historisches Material seines Unternehmens mit dem Auftrag, dieses fachgerecht zu sortieren, zu verzeichnen und zu verpacken. Wir machen uns gleich an die Arbeit, holen Geschäftsberichte und Prospekte aus alten Aktenordnern, befreien Fotografien von vergilbten Schutzhüllen und verzeichnen das Archivgut. Und dann das: Mitten unter den Materialien der Firmengeschichte befindet sich ein Exemplar des Versailler Friedensvertrags von 1919.

Die Unterzeichnung dieses Vertrages liegt heute auf den Tag genau 100 Jahre zurück. Das möchten wir zum Anlass nehmen, den umwälzenden Ereignissen dieser Zeit und den folgenreichen Auswirkungen des Vertrages einen Beitrag zu widmen.

Am 28. Juni 1919 unterzeichnete Deutschland im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles widerwillig den Friedensvertrag mit den Alliierten, der den Ersten Weltkrieg nach dem Waffenstillstand auch völkerrechtlich beendete. Durch diesen Akt wurde darüber hinaus der Völkerbund gegründet – ein Vorläufer der heutigen Vereinten Nationen. Doch der Frieden hielt nur für 20 Jahre und der Versailler Vertrag spielte in dieser Entwicklung eine traurige Schlüsselrolle.


Deutschland durfte nur schriftlich eigene Bedingungen vorbringen.

Zwischen Kapitulation und Reparation

Während in Deutschland die Weimarer Republik im Aufbau war, trat in Paris am 18. Januar 1919 die Friedenskonferenz unter Ausschluss der Sowjetunion und der unterlegenen Länder Deutschland und Österreich zusammen. Frankreich hatte im Krieg schwerste Verluste erlitten, da die Westfront fast ausschließlich auf französischem Boden verlaufen war. Ganze Dörfer wurden unwiederbringlich ausgelöscht und mehr als ein Viertel der Männer zwischen 18 und 27 Jahren war gestorben. Damit war Frankreich gemeinsam mit Serbien das Land mit den meisten Toten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Folgerichtig war es auch der französische Unterhändler Georges Clemenceau, der allen voran hohe Reparationszahlungen und die alleinige Kriegsschuld für Deutschland forderte.

Der Vertragsentwurf wurde am 7. Mai 1919 vorgelegt – als zusätzlicher Seitenhieb gegen Deutschland genau vier Jahre nach der Versenkung der britischen RMS Lusitania durch ein deutsches U-Boot, woraufhin die USA die Einstellung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges bis 1917 durchgesetzt hatten. Die Bestimmungen waren hauptsächlich von den Interessen Frankreichs, Großbritanniens und der USA geprägt. Deutschland durfte nur schriftlich eigene Bedingungen vorbringen und diese wurden größtenteils abgelehnt. Aus diesem Grund weigerte sich Deutschland lange, den Vertrag zu unterzeichnen. Die Alliierten drohten daraufhin mit militärischem Einmarsch. Die noch bestehende britische Seeblockade verschlechterte die Ernährungslage in Deutschland zusätzlich immer weiter, sodass sich die Weimarer Nationalversammlung schließlich der ultimativen Aufforderung zur Unterzeichnung beugte.

Exemplar des Versailler Vertrags

Am 28. Juni 1919 unterschrieb Deutschland schließlich nach langem Protest im Spiegelsaal des Versailler Schlosses den Friedensvertrag – auf den Tag genau 5 Jahre nach dem Attentat von Sarajevo. Der Ort der Unterzeichnung hatte eine große symbolische Bedeutung: Am 18. Januar 1871 wurde hier der Kriegsverlierer Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg mit der Proklamation der Gründung des Deutschen Reiches zusätzlich gedemütigt. 48 Jahre später wurde an dieser Stelle somit erneut Öl in das Feuer der deutsch-französischen Feindschaft gegossen.

Weltgeschichtliche Folgen des Versailler Vertrags

Die 440 Artikel des Versailler Vertrags bedeuteten für Deutschland in der Folge einige Einschränkungen. Am Anfang des Vertrages stand die Satzung des damit auch neu gegründeten Völkerbundes, von dem Deutschland zunächst ausgeschlossen blieb. Die Gebietsverluste in Europa, darunter Elsass-Lothringen, betrugen 79 579 km2 mit 7,3 Millionen Einwohnern. Für die deutsche Wirtschaft war vor allem der damit verbundene Verlust von großen Teilen der Zink- und Eisenerzförderung, der Steinkohleförderung und der Getreideernte ein schwerer Schlag. Das Militär wurde stark begrenzt, und rechts und links des Rheins musste jeweils ein 50 km breiter Streifen entmilitarisiert werden. Und der im Nachkriegsdeutschland als stärkstes Unrecht empfundene Artikel 231: dieser konstatierte die alleinige Kriegsschuld Deutschlands und rechtfertigte die Reparationszahlungen wie Sachlieferungen und die Auslieferung von 90% der Handelsflotte. Als Garantie für diese Zahlungen wurde das Rheinland durch die Alliierten besetzt. All diese Bestimmungen hatten zum Ziel, ein Wiedererstarken Deutschlands zu verhindern, was vor allem Frankreichs oberstes Anliegen war.

Die Geburtsstätte der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht München, sondern Versailles.“
(Heuss, Theodor: Hitlers Weg, Stuttgart 19324, S. 152)

Tatsächlich war die deutsche Wirtschaft infolge der Vertragsunterzeichnung stark geschwächt. Der Verlust der Handelsflotte bedeutete hohe Einbußen im Export und die Reparationszahlung führten das Land 1923 sogar in die Hyperinflation. Die Revision des Versailler Vertrages wurde somit zum stetigen Ziel der Außenpolitik der Weimarer Republik. Die Ablehnung des „Diktates von Versailles“ war auch in der Bevölkerung verbreitet, weshalb es für den aufkommenden Nationalsozialismus leicht war, mithilfe der „Dolchstoßlegende“ gegen den Versailler Vertrag und die Republik Propaganda zu betreiben. In der Konferenz von Lausanne wurde 1932 zwar das Ende der Reparationszahlungen beschlossen, doch nach 1933 brach die NS-Regierung offen den Friedensvertrag und erntete dafür zusätzlich Ansehen bei ihren Anhängern. Die allgemeine Wehrpflicht wurde wieder eingeführt, 1936 marschierten Truppen in das entmilitarisierte Rheinland ein und am 30. Januar 1937 kündigten die Nationalsozialisten den kompletten Vertrag auf.

Letztendlich war der Friedensvertrag zu restriktiv, als dass Deutschland daraus positive Kraft für den Aufbau der Republik hätte ziehen können. Stattdessen bekam die nationalsozialistische Bewegung zusätzlich Auftrieb, die 14 Jahre nach der Vertragsunterzeichnung puren Hass zur Politik machte und Europa ins Chaos stürzte.