Archivgut und Social Media - Themen des Deutschen Archivtags 2023

Archivgut und Social Media - Themen des  Deutschen Archivtags 2023

2023 fand erstmals seit der Covid-19-Pandemie wieder der Deutsche Archivtag statt. Teil der 90. Auflage der traditionsreichen Fachtagung war auch wieder die ARCHIVISTICA, die größte Fachmesse für Archivwesen in Europa.

Unser Kollege und Archivexperte Matthias Schlösser war gemeinsam mit unserem Archivpartner archivalism in Bielefeld vor Ort, zum ersten Mal auch als Aussteller. Wir haben ihn im Interview nach seinen Eindrücken aus Bielefeld gefragt – und nach den großen Trends in der Archivbranche.


Matthias, was waren Deine persönlichen Highlights in Bielefeld?

Matthias Schlösser: Das wichtigste Highlight war die Möglichkeit, sich nach einigen Jahren Unterbrechung wieder persönlich mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenzusetzen. Der Bereich der Archivare ist eine eher kleine Gruppe, da kennt man sich und hilft sich. Umso wichtiger ist auch der persönliche Austausch: „Welche Fragestellungen hast du bei dir in deinem Haus? Welche Antworten habt ihr vielleicht schon gefunden - oder kann man auch miteinander neue Lösungen finden?“


Ein anderer toller Aspekt war, dass auch internationale Kolleginnen und Kollegen vor Ort waren - aus Österreich, der Schweiz, oder aus den Beneluxstaaten. Klar ist es überwiegend der deutschsprachige Raum, aber so kommt man doch noch einmal anders miteinander ins Gespräch und erlebt unterschiedliche Perspektiven. 


Matthias Schlösser, M.A., ist seit 2017 Projektmanager und Projektleiter bei H&C Stader. Der Historiker und Archivexperte ist seit 2022 Mitglied des Management Boards (Prokura) und verantwortet die Sparte Archive Services inkl. sämtlicher Archivprojekte der H&C Stader Archiv GmbH.
Seine Schwerpunkte sind der Neuaufbau von Unternehmensarchiven, Archivberatung und die Betreuung von Archivinformationssystemen


Und was waren die wichtigsten Gesprächsthemen? Worüber wurde diskutiert?

Matthias Schlösser: Das Überthema der letzten Jahre war ganz klar die digitale Transformation. Aber nach den Jahren der Pandemie, wo die Veranstaltung ausgesetzt hatte, wurde auch sehr weit thematisch gestreut. Denn das Tolle am Archivtag ist ja, dass sich hier nicht nur staatliche Archive treffen. Da sind auch Medienarchive vertreten, Wirtschaftsarchive oder eben Adels- und Familienarchive. Also ganz unterschiedliche Zielgruppen, die da miteinander auch innerhalb dieser Spezialnische „Archivar“ miteinander in Austausch gehen. Da gab es also eine ganze Bandbreite an Themen, über die geredet wurde.

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ARCHIVISTICA & Deutscher Archivtag 2023

"Miteinander arbeiten und miteinander reden - Kommunikation rund um das Archiv"

26.09.2023 - 28.09.2023
Stadthalle Bielefeled
Über 500 Teilnehmende

H&C Stader war erstmalig als Aussteller mit vor Ort - gemeinsam mit unserem Archivpartner archivalism GmbH

In deiner Arbeit hast du viel mit Unternehmensarchiven zu tun – was waren denn hier die aktuellen Themen?

Matthias Schlösser: Der Fokus dieses Jahr war die Nutzung von Archivgut im Bereich Social Media, etwas, was sonst in der Archivarbeit oft nicht so sehr zum Tragen kommt. Aber damit kommt dann auch die Frage nach dem Archivrecht, sprich: wie kann ich DSGV-konform archivieren?  Und das wiederum nutzen, um nach außen werbewirksam aufzutreten? Wie man diesen Spagat hinbekommt, wurde intensiv diskutiert.

 

Ein Thema für die öffentlichen Archive war zuletzt die digitale Aktenführung. Hat das auch Auswirkungen auf die Unternehmensarchive?

Matthias Schlösser: Mit der E-Akte in der öffentlichen Verwaltung gab es auf jeden Fall viele Überlegungen im Vorfeld, wie sich diese rein digitalen Inhalte richtig archivieren lassen, wie der ganze Prozess dahinter ablaufen soll. Jetzt ist das ganze tatsächlich da, also werden viele Dinge jetzt in der Praxis ganz akut. Da gibt es viel Bewegung, einige Kinderkrankheiten und auch die Frage, wie man diese Aufgaben auch als kleineres Archiv bewältigen kann.

In den Unternehmensarchiven stellen sich ganz ähnliche Fragen: Sehr oft habe ich jetzt nicht mehr das Stück Papier, auf dem ich auch einen Rechtsakt nachvollziehen kann, sondern eben eine E-Mail oder eine Chatnachricht, mit der eine Freigabe erteilt wird oder ein Auftrag vergeben wird. Wie kann ich die Informationen aus meinem Unternehmen heute zeitgemäß archivieren? Und wie validiere ich diese Informationen? Denn gerade die Authentizität und Unveränderbarkeit dieser Daten ist ein Problem, dass sich früher in der analogen Aktenführung nicht so gestellt hat.

 

Und was für Antworten gibt es auf diese Fragen?

Matthias Schlösser: Das ist zum Glück alles nicht ganz neu. Die Frage der digitalen Langzeitarchivierung beschäftigt uns ja schon seit längerer Zeit. Wichtig ist für uns als Grundlage das OAIS-Modell, was schon in den Zweitausendern entwickelt wurde. Damit haben wir eine Grundlage für verschiedene Prozesse und Formate, an denen man sich orientieren kann, um digitale Daten langzeitkonform abzulegen, also sprich unveränderbar abzulegen, aber auch recherchierbar zu machen, mit Metadaten anzureichern und so weiter.

 

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Das OAIS-Standard-Modell

Das OAIS-Standard-Modell ist ein internationaler Referenzstandard für Archivinformationssysteme. Der ISO-Standard, der 2003 erstmals entwickelt und 2012 aktualisiert wurde, beschäftigt sich mit spezifischen Problemen der Archivierung digitaler Daten, etwa Rechtemanagement, Schutzfristen, vor allem aber auch der Frage der passenden Formate, Lesegeräte und Programme, um rein digitale Inhalte vor Zerstörung und Unlesbarkeit zu schützen.

 

Aber trotzdem ist es am Ende eine Frage der praktischen Umsetzung: Die umfassende Retrodigitalisierung analoger Materialien, die Entwicklung passender digitaler Ablieferungsrichtlinien und -formate, nicht zuletzt auch die notwendigen Ressourcen dafür, sowohl bei Personal als auch bei Speicherkapazitäten – das alles beschäftigt die Unternehmensarchive im Tagesgeschäft. Vieles findet auch im vorarchivischen Bereich statt: das ist der Bereich Records Management, der Bereich IT-Sicherheit aber auch die Rechtsabteilung. Da gibt es nicht die eine, überall passende Antwort.

 

Das klingt aufwändig – ist das in mittelständischen Unternehmen überhaupt abzubilden?

Matthias Schlösser: Tatsächlich sind wir leider oft noch nicht so weit. Bei vielen mittelständischen Unternehmen sind wir noch in dem Prozess, überhaupt erstmal ein Unternehmensarchiv zu etablieren. Die Thematik wird verstanden, aber eher das Tagesgeschäft gesehen, wie gesagt bezüglich der Anwendbarkeit in der IT-Sicherheit, Rechtsabteilung und so weiter.

Dann wird gerade in der heutigen, wirtschaftlich unsicheren Phase, auch abgewogen: Was ist der Nutzen zu dem, was ich an Investitionen hätte. Oft sehen wir da im Moment die Lösung, dass man eher ein „hybrides“ Archiv aufbaut: Die Altdaten werden retrodigital zugänglich gemacht, damit sie eben auch für die historische Kommunikation, für Ausstellungen und ähnliches nutzbar werden. Aber an die aktuellen, digitalen Daten und ihre langfristige Sicherung denkt man dann erst im nächsten Schritt nach.

 

Inzwischen ist auch das Thema KI in aller Munde. Was für Gespräche gab es darüber in Bielefeld?

Matthias Schlösser: Klar, KI ist auch unter Archivaren ein brandaktuelles Thema. Gerade auf der ARCHIVISTICA waren jetzt auch schon einige Anbieter für Digitalisierungssoftware dabei, die in ihrer Software stärker das Thema KI betonen. Im Prinzip ist das aber nichts neues. OCR-Erkennung von Dokumenten gibt es natürlich schon länger. Mittlerweile geht es jetzt stärker auch um Bilderkennung und -analyse, um da eine automatisierte Anreicherung mit Metadaten und Beschreibungen zu ermöglichen.

Das ist ein spannendes Gebiet, steht und fällt aber mit der Software – und den spezifischen Parametern, mit denen sie trainiert wird. Da kommt bei den Archiven noch mal einiges an Aufwand hinzu, gerade durch den langen Verlauf. Denn Fotografie hat im Archiv eben nicht erst 1999 angefangen, sondern teilweise schon den 1920er Jahren oder früher. Und da hat man über Jahrzehnte also erhebliche Veränderungen – gerade bei den Personen. Der Geschäftsführer sieht mit 30 Jahren sicherlich anders aus als mit 75 Jahren. Dass die Software diese Kontur der Person wieder richtig zuordnet, da ist keine hundertprozentige Fehlerfreiheit drin, das muss man umfassend trainieren.


Der H&C Stader Infostand auf der ARCHIVISTICA (mit unserem Kollegen Viktor Fichtenau)

 

Und wie ist es mit dem Einsatz von KI außerhalb der klassischen Archivarbeit?

Matthias Schlösser: Da gab es natürlich auch viele Diskussionen. Ein Bereich, der für viele Archivare eine gewisse Erleichterung darstellt, ist die Möglichkeit von KI-Tools für eine bessere Kommunikation, für die sonst im Alltag vielleicht nicht die Zeit bleibt.

Die Möglichkeit, Entwürfe für SocialMedia-Texte anhand von Stichworten generieren zu lassen, da auch das passende Bild zu finden dazu, jeweils mit der passenden Zeichenzahl und dem Format je nach Plattform, das ist schon eine gute Basis. Das ersetzt keine Kommunikatoren, und auch keine wissenschaftliche Aufarbeitung, aber macht die Verbindung von Archivarbeit und Kommunikation an einigen Stellen leichter, wo sie bisher vielleicht eher unter den Tisch gefallen ist. Und darauf kann man auf jeden Fall aufbauen.

 

Wir sind schon gespannt auf das nächste Jahr – vielen Dank für das Gespräch Matthias!