„History matters!“

Die eigene Firmengeschichte ist für viele Unternehmen noch immer unerforschtes Terrain: Sie kann eine Goldmine sein – oder ein Minenfeld. Im Expertengespräch zeigen wir, wie verantwortungsvolle Aufarbeitung der Geschichte und moderne Kommunikation Hand in Hand gehen.

„History matters!“

Für unseren Blog hatte ich die Gelegenheit, einen absoluten Kommunikationsprofi zu interviewen: Matthias Koch beschäftigt sich mit "Corporate History Communication" als übergeordnetem Begriff und analysiert die Bedeutung von Unternehmensgeschichte für die Unternehmenskommunikation. Diese „kommunikative“ Sicht auf die Historie und ihre Anwendbarkeit in Unternehmen ist ein wichtiger Leitfaden nicht nur für Kommunikator:innen, sondern auch für das Management, das nach dem Mehrwert von Geschichte für das Unternehmen fragt.


Matthias Koch, M.A., erfahrener Kommunikations-Fachmann (PR-Berater, DAPR), Lehrbeauftragter und studierter Historiker, setzt sich seit Jahren mit dem Thema History Communication auseinander. Er berät Firmen und Institutionen und hat im vergangenen Jahr mit seinem Aufsatz „History matters!“ einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis von History Communication und ihren Einsatzfeldern in Organisationen geleistet.


Im Gespräch erklärt er, wieso Firmengeschichte und ihre Kommunikation wichtig für Unternehmen sind, wie sie die Verantwortung und die Chancen der eigenen Geschichte nutzen können und wie die Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte sich praktisch in Kommunikationsmaßnahmen umsetzen lässt.

EG: Warum hast Du Dich so intensiv mit Geschichtskommunikation in Unternehmen auseinandergesetzt? Was ist deine Motivation?

MK: Die Gesamtthematik hat eine Relevanz, die bislang bei vielen Unternehmenskommunikatoren noch nicht angekommen ist oder nicht zur Genüge. Deshalb habe ich auch diesen Aufsatz geschrieben. Der Aufsatz ist dazu gedacht, dieses Thema neu zu positionieren und die Relevanz klarzumachen für diejenigen, die in Entscheider-Gremien sitzen. Ich sehe da zwei Stoßrichtungen:

Zum einen Unternehmenskommunikatoren, zum anderen aber auch Firmeninhaber, mit der zentralen Fragestellung: Was lässt sich mit dem Thema Firmengeschichte Positives für meine Company machen oder was lässt sich daraus ableiten? Und ich denke, da gibt es noch viel Pionier- und Zukunftsarbeit zu leisten für Firmen-Historiker:innen wie für Kommunikationsprofessionals!

EG: Was verbirgt sich hinter dem Begriff "Corporate History Communication"?

MK: Es gibt einen großen Begriffs-Wirrwarr, den ich in meinem Artikel dargestellt habe. Das sind verschiedene Ansätze, die dann auch etwas Unterschiedliches meinen, von "Heritage" über "History Marketing" usw. Mir war wichtig, diesen Dreiklang zu haben: Corporate/Firma, Historie, aber eben auch Kommunikation und das in einen Zusammenhang zu bringen, sozusagen eine Art Dachbegriff zu bilden.

EG: Warum braucht ein Unternehmen Corporate History Communication?

MK: Es ist von vornherein wichtig, die DNA der Company herauszubekommen, gewappnet zu sein, wenn man ein Jubiläum hat und schleppt eventuell noch alte Dinge mit sich herum, schlecht ausgeleuchtete Ecken, Nationalsozialismus, Zwangsarbeiter, DDR-Geschichte, alte Skandale, die möglicherweise jetzt gar nicht in diesem Zusammenhang von Belang sind, aber die Firma irgendwann einmal belasten können.

Das ist der negative Teil. Der positive ist aber eigentlich viel wichtiger, dass in diesem Feld der gesammelten Historie, den Archiven, eigentlich kleine Schatzkammern liegen. Da ist ein Schatz, den man heben muss und das kriegt man aber meistens allein nicht ganz hin.

EG: Wieso? Was ist das Besondere daran?

MK: Erstens fehlt dafür oft das Vorwissen, man hat die Historiker nicht im Hause, man ist darauf angewiesen, möglicherweise Dienstleister dazu zu nehmen. Das ist unbekanntes Terrain und deshalb scheuen es viele, insbesondere der mittelständischen Firmen. Am Ende, wenn die Companies sich dazu entschließen, etwas aus ihrer Unternehmensgeschichte zu machen, haben sie ein Pfund, mit dem sie lange Zeit wuchern können.

Die großen Firmen sind ein bisschen anders aufgestellt. Konzerne haben meistens schon ihre historischen Kommunikationsabteilungen. Volkswagen gehört dazu, Bosch, Siemens, die haben alle auch ihre lange Geschichte, die sie von Fachleuten haben aufarbeiten lassen. Aber selbst der arrivierte Mittelstand hat diesbezüglich noch, um es mal fußballerisch auszudrücken, viel Luft nach oben.

EG: Wo genau bringt die Historie Vorteile für das Unternehmen?

MK: Firmengeschichte ist ein Thema, das sehr stark mit der Identifikation der Company-Mitarbeitenden mit dem Unternehmen zusammenhängt. Wenn man zur BASF ging, war man „Aniliner“ und darauf war man stolz, wenn man in der dritten oder vierten Generation für die gearbeitet hat. Und so geht's weiter, Boschler: "Halt dei Gosch i schaff beim Bosch", das ist so ein Spruch, den die Stuttgarter ganz gut kennen. Ich bin mir recht sicher, dass auch die Siemensianer ähnliches haben. Das zeigt Verbundenheit und die bekomme ich natürlich durch History Communication oder Corporate History Communication durchaus ins Bewusstsein der Mitarbeitenden gehoben.

EG: Du hast von den schlecht ausgeleuchteten Ecken in der Historie gesprochen – welche Rolle kommt der Corporate History Communication bei der Aufarbeitung der Firmengeschichte zu?

MK: Ich glaube, dass es generell eine Verantwortung dafür gibt. In meinem Aufsatz habe ich eine Autorin erwähnt, Claudia Janssen, die vor Jahren den Begriff „Corporate History Responsibility“ bzw. kurz CHR geprägt hat. Sie hat das aus dem VW-Zusammenhang heraus abgeleitet, aber das gilt natürlich nicht nur für den Volkswagen-Konzern. CHR ist eng angelehnt an die Theorie von Corporate Social Responsibility. Janssen hat daraus geschlussfolgert, sehr grob formuliert, dass Unternehmen eine historische Verantwortung tragen und dass sie sich dieser auch positiv stellen und damit positiv umgehen sollten. Das kann ich aber auch erst in dem Moment, wenn ich um die eigene Geschichte und Vergangenheit meines Unternehmens weiß.

EG: Wie weit geht das Interesse daran in den Unternehmen?

MK: Wenn ich ein historisches Bewusstsein habe für meine Company, kann ich sogar so weit gehen und strategische Managemententscheidungen mit daran knüpfen und diesen Faden weiter ausdehnen und sagen: Was haben wir eigentlich in der Vergangenheit gemacht? Was haben wir in bestimmten Krisensituationen getan? Selbst die Pandemie-Situation, die wir jetzt im Moment haben, wäre ein Anlass zu fragen: Wie sind wir denn mit Krisen umgegangen? Wie haben wir uns positiv aus Krisen herausentwickelt? Wie reagiert unser Unternehmen ganz spezifisch und wie gehen wir aktiv, proaktiv mit den Dingen um? Manchmal ist der Blick in den Rückspiegel, oder besser formuliert: der „Blick-zurück-nach-vorn“, ein hilfreicher.

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EG: Und wie muss man sich das nun praktisch genau vorstellen, wie finde ich als Unternehmen diese „Vergangenheiten“?

MK: Dafür brauche ich Fachleute, Historiker:innen, Archivar:innen, die dabei unterstützen und bei der Aufarbeitung der Firmengeschichte helfen. Dazu passt vielleicht die Analogie mit dem Öl-Bohren: Wenn ich ein Ölfeld erschließe, muss ich auch eine Tiefenbohrung vornehmen und hole dann das Rohöl aus der Erde heraus, aber das hilft mir noch gar nicht so furchtbar viel, ich benötige einen Steamcracker, um die brauchbaren Elemente (Anmerkung: „Fraktionen“) zu erhalten. Ich möchte diese Analogie jetzt nicht überziehen, aber an dieser Stelle ist es tatsächlich so - mit einem rohen Faktum aus dem Archiv mache ich noch gar nichts. Da braucht es eben die Dolmetscherfunktion von einer Geschichtsagentur oder von Fachleuten, die im Hause sitzen, die das in einen Kontext bringen, die das auch handhabbar machen für die aktuelle Unternehmenskommunikation.

EG: Wie sieht diese „Dolmetscherfunktion“ denn genau aus, wie muss man sich das vorstellen?

MK: Es reicht nicht aus, den reinen Archivaren-Blick auf die Dinge zu werfen, der ja bewahren möchte, da braucht es dann auch eine journalistische Kompetenz, die mich fragen lässt: Was für aktuelle Themen sind hier spannend? Aber die haben eine lange historische Wurzel. Ich brauche halt beides. Ich brauche beide Perspektiven und an den Schnittstellen passiert dann immer was, sonst könnte so ein Unternehmen wie Bosch nicht seinen History-Blog machen. Es gibt jede Menge Beispiele, wo die Kollegen und Kolleginnen helfen, diese Dinge handhabbar, umsetzungsfähig und auch kommunikativ ertragreich zu gestalten.

EG: Wie integriere ich die Unternehmensgeschichte in die Gesamtkommunikation? Du sprichst in Deinem Aufsatz von „Anschlussfähigkeit“, was genau ist damit gemeint?

MK: Anschlussfähigkeit heißt nichts weiter, als dass ich, wenn ich ein History Communication Konzept entwickle, auch ein Jubiläumskonzept, dass das zusammenpassen muss wie ein Glied ins andere mit der restlichen Unternehmenskommunikation. Es hat ja keinen Sinn, wenn ich unterschiedliche Botschaften aussende, sondern das muss zusammengedacht werden.

Ich muss den Historiker oder den Archivar plus die Kommunikationsleute im Team haben, sonst bekomme ich das nicht hin. Dass die aus sehr unterschiedlichen kulturellen Welten kommen, ist klar! Der Historiker guckt zurück, der von der Kommunikation guckt im Prinzip immer nach vorne, der will die Zukunft seiner Firma verkaufen; die haben manchmal Probleme, sich auf Anhieb auf eine gemeinsame Sicht zu einigen.

EG: Die Historiker:innen entdecken die Fakten, kontextualisieren, die Kommunikator:inen blicken in die Zukunft – wie gelingt es nun daraus „eine Geschichte“ zu machen?

MK: Die Antwort ist: Durch Narration. History Communication und Storytelling haben im deutschen Sprachgebrauch (Geschichte und Geschichten) schon in ihrer Wortwurzel große Ähnlichkeiten, aber mir geht es um einen größeren Zusammenhang. Mir geht es darum, dass "Erzählen" eine zentrale Kategorie ist - sowohl in der Unternehmenskommunikation generell als auch in der History Communication. Und das könnte eine wichtige Schnittstelle sein!

Eine Tatsache, die vielleicht für sich allein nicht so wahnsinnig spannend ist, mache ich durch eine Geschichte greifbarer, menschlicher, emotionaler. Wenn ich ein nacktes historisches Faktum habe, brauche ich auch eine Erzähllinie, damit das Ereignis einprägsam und verstanden wird. Erzählen ist das, was uns verbindet - den Unternehmenskommunikator mit dem Spezialisten/der Spezialistin, nämlich dem Corporate History Communications-Professional.

EG: Du hast vorhin schon gemeint - es gibt Firmen, die sich nach wie vor schwer tun mit History Communication. Was sind denn die häufigsten Gegenargumente, die Dir begegnen?

MK: Ein häufiges Gegenargument ist, dass in der Firmengeschichte kein wirklicher Nutzen für Gegenwart und Zukunft zu sehen ist. Dabei wird übersehen, dass auch in der Vergangenheit ein Stück Zukunft steckt, dass Geschichte Mehrwert schafft, den eigenen USP zum Beispiel herauszuarbeiten. Ja, es kann keine zweite Firma dieselbe DNA haben, um es mal so herum zu formulieren.

Ohne ein gewisses Geschichtsbewusstsein werde ich meine eigene Geschichte nicht erfassen. Wenn ich das jedoch nicht kann, verliere ich die kommunikative Deutungshoheit in eigener Sache und werde ein stückweit zum Spielball von Medien oder Dritten. Das ist jetzt die negative Betrachtung. Die positive ist: Ich habe über dieses identitätsbildende Medium, die DNA, die Mitarbeiterstärkung, da habe ich genügend Dinge, die ich positiv pflegen kann und pflegen sollte als Unternehmen oder Organisation.


Zum Weiterlesen:

Matthias Koch: Corporate History Communication. „History matters!“ – Oder warum Unternehmenskommunikation Unternehmensgeschichte braucht, in: Kommunikationsmanagement. Strategien, Wissen, Lösungen, von Günter Bentele (Hrsg.) / Manfred Piwinger (Hrsg.) / Gregor Schönborn (Hrsg.), Aktualisierungslieferung Nr. 173, Nov 2020, Beitragsnummer 3.132

Matthias Koch | Kommunikationsmanagement
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