„Bei Geschichte haben wir das Unternehmen als Ganzes im Blick.“

„Bei Geschichte haben wir das Unternehmen als Ganzes im Blick.“
Copyright: Lina Graf, GRAFic Recording

Expertengespräch mit Dr. Reimer Stobbe

Die Wirksamkeit von Unternehmenskommunikation auf ihre unterschiedlichen Stakeholder ist ein thematischer Dauerbrenner unter Kommunikationsfachleuten. Ein Wirkungsstufenmodell kann dabei helfen, Kommunikationsmaßnahmen prozessorientiert vorzubereiten und gezielt einzusetzen. Aber lässt sich dieses Wirkungsstufenmodell auch auf Corporate History Communication (CHC) anwenden?

Dr. Ingo Stader und Dr. Esther Graf sprachen darüber mit dem Historiker und Fachmann für Kommunikations-Controlling Dr. Reimer Stobbe.

Das Interview mit Dr. Reimer Stobbe ist ein thematischer Vorgeschmack auf unsere diesjährige Expert Session auf dem Kommunikationskongress in Berlin. Über die Frage "Mehr Umsatz durch History Communication?" diskutieren am Donnerstag, 14.09., 10:10 - 11:20 in A03/04 Julia Kneiphoff-Nünnerich (Gira Giersiepen GmbH & Co. KG), Prof. Dr. Felix Krebber (Business School der Hochschule Pforzheim) und Dr. Ingo Stader (CEO & Gründer der H&C Stader Gmbh).

Reimer, wie bist du eigentlich zu dem Thema Wertschöpfung durch Kommunikation gekommen?

RS: Ich bin promovierter Historiker und hab mich mit Sozial- und Wirtschaftsgeschichte beschäftigt, mit Vermögensverteilung zum Beispiel. Ich war also schon immer an Messung, Zahlen und Quantifizierung oder überhaupt Kausalketten interessiert. Ich bin dann 1993 in die Praxis von Kommunikationsabteilungen eingestiegen und bin seit 1999 bei der Münchener Rück. 2004 bekam ich innerhalb der Kommunikation die neue Funktion Controlling. Das Kommunikations-Controlling, das zu dieser Zeit entstand, befasst sich zum einen mit der Mikroperspektive, also wie kriege ich meine Kommunikationsabteilung besser organisiert und zum anderen mit der großen Frage, wie kommt es eigentlich, dass über den konkreten Wert eines Unternehmens hinaus noch so viele „weiche Faktoren“ den Wert ausmachen? Und welcher Teil der Wertschöpfung gehört dabei zum „weichen Faktor“ Kommunikation? Es gab also schon initial diese große Frage nach der Wertschöpfung. Wie krieg ich eigentlich den Erfolg meiner Kommunikationsleistung transparent bewertet, und wie kriege ich dafür auch entsprechend Budget und Lob?

Was genau war dann die Lösung?

Wir erarbeiteten in den Verbänden 2009 den Bezugsrahmen für die Kommunikatoren und Controller  – die Wirkungsstufen - , der erstmal einfach nur Ordnung herstellen sollte und den wir später zum Wirkungsstufenmodell entwickelt haben.

Wie hat sich dieses Stufenmodell etabliert, und wie wird es praktisch angewandt?

RS: Die Wirkungsstufen für Kommunikation wurden gemeinsam von der Deutschen PR-Gesellschaft (DPRG) und dem Internationalen Controller Verein (ICV) veröffentlicht, unterstützt von verschiedensten deutschsprachigen PR Verbänden. Darüber hinaus wurden sie mit der amerikanischen AMEC und mit den Barcelona Principels abgestimmt. Sie sind seit 2010 mit dem ICV „Grundmodell für Komunikations-Controlling“* zu einem Managementmodell geworden, einer Standardmethode.

* Aus der Schriftenreihe des ICV: Grundmodell für Kommunikations-Controlling, herausgegeben vom Internationalen Controller Verein e. V., Redaktionsgruppe unter der Leitung von Dr. Reimer Stobbe, Gauting 2010.

Was genau beinhaltet das Stufenmodell?

Auf die banale Frage war die Kommunikationsmaßnahme erfolgreich, können wir stufenweise antworten. Wir müssen uns also nicht gleich rechtfertigen, ob damit irgendwo im Vertrieb Geld verdient oder ob die Bilanz beeinflusst wurde oder ob der Aktienkurs stieg, weil wir einen Social Media Post gesetzt haben. Sondern wir können sagen:

1. Erste Stufe: Ich habe das mir zugewiesene Budget sinnvoll eingesetzt.

2. Zweite Stufe: Ich habe meine Zielgruppe erreicht, indem ich sie richtig identifiziert und im richtigen Kanal angesprochen habe.

3. Dann geht es bei der Zielgruppe weiter: Hat die das überhaupt gehört, was ich ihr da zugerufen habe?

4. Weiß sie, was ich gemeint habe?

5. Wie findet sie das? − Da sind wir dann schon im Bereich von Image und Reputation, gefolgt von Verhaltensdisposition und angestrebtes Verhalten.

„Das Feine an diesem Managementmodell ist, dass es eigentlich ein Kreislauf ist, denn dann geht die Messung wieder von unten nach oben die Stufen hoch.“

Werden die Stufen immer von unten nach oben angewandt?

Wir haben irgendwann gemerkt, das war 2013, dass es im Planungsprozess auch für das Unternehmen sinnvoll ist, die Stufen zuerst von oben nach unten zu gehen und zu sagen: Welche Stakeholdergruppen, welche Zielgruppen brauchen wir denn, um unser eigenes Ziel zu erreichen, und welches Verhalten wünschen wir uns denn nach der Kommunikationsmaßnahme von dieser Zielgruppe, welche Unterstützungsfunktion durch die Stakeholder auf der strategischen Ebene? Um dann zu sagen, ok, was müssen die dafür gut finden, welche Informationen müssen sie von uns bekommen und über welchen Kanal erreichen wir sie am besten? Wie kriegen wir die entsprechenden Kommunikationsmittel hergestellt für entsprechende Kosten, und was brauchen wir für ein Budget. Das Feine an diesem Managementmodell ist, dass es eigentlich ein Kreislauf ist, denn dann geht die Messung wieder von unten nach oben die Stufen hoch. Das bedeutet, am Ende können wir die strategische Relevanz ans Budget koppeln. Auf der übergeordneten Ebene der strategischen Kommunikation des Unternehmens als Ganzes haben wir auf diese Weise gute Antworten gefunden, die darauf basieren, dass man sagt, „es gibt keine Vermögensart des Unternehmens, die nicht angewiesen wäre auf die Unterstützung durch eine Stakeholder Gruppe.“*

*Diese Erkenntnisse haben zwei Jahre später Eingang gefunden in das 2015 vom Internationalen Controller Verein herausgegebene Buch zu moderner Wertorientierung. Vom „Wertobjekt“ zur „Teilhabe an der Wertschöpfung“.

Stichwort Corporate History Communication, die seit einigen Jahren in der Kommunikation eine stärkere Daseinsberechtigung erfährt. Inwieweit lässt sich dieses Wirkungsstufenmodell auch auf die History Communication anwenden?

Meine Hypothese ist: History Communication ist eine Ausprägung von Corporate Communication sowie auch Branding oder PR. Insofern lässt sich das Modell auch auf die Geschichtskommunikation anwenden. Professor Felix Krebber und ich haben mithilfe eines Ziele-Hauses versucht, die Wertschöpfung darzustellen für genau diese unsere Disziplin History Communication.

Dr. Stobbe stellt im März 2023 im Rahmen eines Roundtable zu Corporate History Communication das Stufenmodell der Kommunikation vor.

Wertschöpfung von Corporate History Communication für das Unternehmen. Wie kann das konkret aussehen?

Zum Beispiel, wenn man auf Social Media etwas über die Geschichte des Unternehmens gepostet hat: Man muss sich gar nicht sofort mit der hohen Disziplin des Wertschöpfungsnachweises auseinandersetzen, man kann auch ganz solide dabeibleiben, dass man sagt, ich habe durch meine Kommunikationsmaßnahme mitgeholfen, Awareness bei der wichtigsten Zielgruppe des Unternehmens herzustellen – gemäß Wirkungsstufen. Sichtbar ist das konkret daran, dass kein anderer Social Media Post besser performt hat als meiner, in dem es um eine historische Anekdote aus dem Unternehmen geht. Es sind häufig solche kleinen Sachen, die viel Aufmerksamkeit erregen, Videos spielen da natürlich eine wichtige Rolle. Wir haben eben viel an Material zu bieten in der Unternehmensgeschichte, das unmittelbar aus der Mitte des Unternehmens kommt und auch bei relevanten Zielgruppen viel Beachtung findet.

„Die Unternehmensgeschichte kommt wirklich aus der Mitte des Unternehmens, sie trägt den Purpose, das Why.“

Social Media Posts mit historischen Anekdoten sind das eine, aber wie sieht es aus, wenn Geschichte tatsächlich fester Bestandteil der strategischen Unternehmenskommunikation wird?

RS: Die strategische Unternehmenssteuerung hat gelernt, dass es nicht reicht, sich nur klarzumachen, was man für Produkte produziert, also die What-Frage, sondern dass man sich in einer Organisation ganz stark dem Why widmen muss, dem Purpose eines Unternehmens, dem eigentlichen Unternehmenszweck, der sogar unabhängig von dem konkreten Geschäftsmodell besteht. Hier trägt zweifellos in hohem Maße die Unternehmensgeschichte zur Unternehmensidentität nach innen bei, aber auch zur Wahrnehmung im Außen. Die Unternehmenskultur wird man ohne die Geschichte nicht verstehen können, Deshalb prägt der Umgang mit der Unternehmensgeschichte natürlich auch die Reputation bei den externen Stakeholdern, daran wird die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens gemessen. Etwas Wertvolleres gibt es eigentlich gar nicht, denn die Reputation ist letztendlich Bestandteil der Wertschöpfung, auch wenn wir das nicht ausrechnen können oder wollen: wir sind doch sicher, dass es so ist.

Deine Ausführungen bestärken mich in meiner Sichtweise, dass CHC ein extrem wertvoller Bestandteil eines Unternehmens ist, der auf die Reputation ebenso einzahlt wie auf die Glaubwürdigkeit und die ganze Purpose-Debatte. Ich frage mich nur, ob überhaupt schon richtig erkannt wurde, welchen Wertbeitrag Corporate History Communication ganz konkret leisten kann?

RS: Ich bin überrascht, wie ausgeprägt History Communication schon ist, was sich schon alles tut. Das ist für mich ein bisschen wie mit der Nachhaltigkeit: Es läuft so am Rande mit und ist sehr stark abhängig von der Einstellung der Entscheider im Unternehmen. Ich denke mir, wenn es uns gelingen könnte − vielleicht sogar besonders an dem im ersten Moment scheinbaren Nischenthema wie History Communication − zu zeigen, wie wichtig das für Reputation und Wertschöpfung ist, − letztendlich glaube ich, dass wir uns auf Reputation konzentrieren sollten−, dann können wir hier ein gutes Beispiel für Corporate Functions schaffen. Denn im Bereich Brand Index, Brand Impact oder Brand Value gibt es schon so viel, dass man kaum auffällt, wenn man da noch was tut. Wir haben in der History Communication Kommunikationskonzepte, wir haben beim Einsatz von Kommunikationskanälen nach drinnen und draußen auch klare Messinstrumente und sammeln Daten in einer professionellen Form. Dadurch haben wir gute Chancen, etwas zur Wertschöpfung des Unternehmens nachvollziehbar beizutragen. Das Interessante ist ja, dass wir bei der Geschichte in dem Bereich sind, wo wir das Unternehmen als Ganzes im Blick haben. Deswegen ist für mich die Verwandtschaft zum Branding auch groß.

Gibt es bestimmte Handlungsfelder, die sich deiner Meinung nach am meisten eignen, um den Wertschöpfungsbeitrag von Corporate History Communication am besten zu nutzen?

RS: Ich denke, wo es um Verantwortung geht, wo es darum geht zu zeigen, wie das Unternehmen positiv zum Ganzen der Gesellschaft, zum Ganzen der Ökonomie, vielleicht sogar global beispielsweise zu Maßnahmen gegen den Klimawandel beigetragen hat. Das ist die eine Möglichkeit, aber es muss nicht immer etwas plakativ Positives sein, um zu zeigen, wie innovativ das Unternehmen schon im 18. Jahrhundert war oder bereits im 19. Jahrhundert eine Frau im Vorstand hatte − beispielsweise. Es kann vielmehr sehr zur Glaubwürdigkeit beitragen, dass man klar sagt, es wurden große Fehler gemacht, zum Beispiel wenn Zwangsarbeiter in der NS-Zeit im Unternehmen eingesetzt wurden. Also über die Historiographie einen transparenten Umgang mit der eigenen Geschichte zeigen, das kann Corporate History Communication.

Du hast schon sehr eindrücklich ausgeführt, welchen Wertschöpfungsbeitrag Geschichtskommunikation leisten kann. Trotzdem möchte ich zugespitzt nachfragen: Was kann Corporate History Communication, was Unternehmenskommunikation nicht kann?

RS: Die Historie ist nicht nur Content für die Kommunikation, die Unternehmensgeschichte kommt wirklich aus der Mitte des Unternehmens, sie trägt den Purpose, das Why. Sie lässt sich nicht beliebig erfinden, sondern prägt das Unternehmen am Standort weiter, in der Gesellschaft und gegenüber allen Stakeholdern. Ja, ich glaube, dass das das Besondere ist.

Zum Abschluss möchte ich noch gerne von dir wissen, welche Wünsche oder Erwartungen du an die Community der History Communication-Interessierten hast?

RS: Ich finde prinzipiell die Idee gut, dass sich im Arbeitsgebiet Corporate History Communication eine Community gebildet hat. Denn oftmals ist man als Geschichtskommunikatorin oder Geschichtskommunikator im Unternehmen einsam, und da ist es gut, wenn es eine Community gibt, in der ich mir Ermutigung, Argumentationshilfe oder auch einfach nur Praxistipps holen kann.

Dr. Reimer Stobbe am 21.08.2023 im online Interview

Zur Person

Dr. Reimer Stobbe arbeitet seit 1999 in der Unternehmenskommunikation von Munich Re. Heute verantwortet er im Team Global Digital Communications die Wirkungsmessung (Impact Evaluation) und Marketing Automation. Als Leiter des Fachkreises Kommunikations-Controlling- (ICV) hat er an der Entwicklung der Standardmethoden für Kommunikations-Controlling in Deutschland maßgeblich mitgewirkt. Über mehrere Jahre war er Dozent für Kommunikationsmanagement an der Hochschule Quadriga in Berlin.